![]() Müde und in Gedanken versunken, zufrieden, kehren wir von der Arbeit in unsere Unterkünfte zurück; der alte Peugeot von Alim, zerrüttelt und zerbeult, von den Elementen zernagt wie die Umgebung, Außenspiegel und Rücklichter nur durch die Mithilfe von Draht in der ihnen zugedachten Lage gehalten, bahnt sich seinen Weg durch die gefährliche Mischung aus Sand- und Asphaltstraßen mit bemerkenswerter Sicherheit. Wir sprechen kaum, jeder ist nun des Abends in seinen eigenen Überlegungen gefangen, ein trotz der kurzen Zeit des Zusammenwirkens bereits wirklich perfekt zusammen gespieltes Team am Einsatzort; doch kaum kommt man zur Ruhe, begibt sich der individuelle Geist auf eine Art Tauchstation, ganz allein und ohne Halt. Man sucht nach Antworten, für Fragen, die so oft nie gestellt; nach Lösungen, für Probleme die unlösbar scheinen. Nach Mut, wo der eigene sich schmerzhaft langsam aufzulösen beginnt, schmilzt wie Schnee in der Frühjahrssonne. Vorbei geht die Fahrt an den oft nur telefonzellengroßen Hütten, aus Wellblech, Karton und Plastikteilen geformt, mit Eisentrümmern irgendwie in Form gehalten – Heim für Menschen, deren Zukunft in dem Moment zerbrochen ist, als sie das Licht der Welt erblickten…
![]() Hat man all diese Sachen so oft gesehen, dann findet man sich eines Tages unweigerlich wieder auf einer Weggabelung; die eine Seite führt Dich zur Abgestumpftheit, ein vernarbtes Gewebe, welches die Gefühle so wie wir sie bisher kannten dann nicht mehr zulässt; sie verbreiten zwar noch immer Schmerz, aber dieser fühlt sich an als ob er von weit her käme, wie ein Wandern auf Watte; der Preis für die Erleichterung ist dann aber ein immens hoher, denn mit Deinen Empfindungen verliert sich auch die Unschuld, die naive Lebensfreude, irgendwo im Nirgendwo der Welten. Die andere Seite führt Dich geradewegs in den Abgrund, sie lässt Dich zerbrechen an jenen Dingen, denen Du Zeuge geworden bist. Es kommt der Tag für jede/n von uns, wo man sich entschieden muss welche Gabelung man nimmt; willkürlich wird diese Entscheidung fallen, und deren Effekt ist eigentlich nicht mehr als nebensächlich; beide Seiten nämlich werden Dich für immer verändern, werden Besitz von Deiner Seele ergreifen und Dich an einen Ort führen, welchen Du niemals besuchen hättest wollen. Ein paar Tage zuvor war schon ganz ähnliches passiert; wieder waren wir auf dem Weg zurück zu unseren Unterkünften, als wir einen Esel am Straßenrand erblickten – offensichtlich bereits tot. Wir hielten dennoch kurz an, um nach dem Armen zu sehen. Unfassbar, wie die Menschenwelt teilnahmslos vorüber irrt, so als ob sie nichts gesehen; der Tod ist hier entmystifiziert, ein ständiger Begleiter, sodass das Sterben kein Aufsehen mehr erregt, selbst wenn es inmitten der Masse passiert. Er lag einfach da, der Körper gestreckt, zum Zerreißen gespannt, Tetanus-infiziert. In der Mitte des Bauches ein faustgroßes Loch, entzündete Wundränder, der Herd der Infektion. Der Esel war noch am Leben, starrte mit leeren Augen in eine Welt welche ihn niemals geliebt; Menschen trieb es vorbei, keiner blieb da stehen, auch nur für einen Augenblick – ein langsames Sterben in Einsamkeit, inmitten der Großstadt, unbemerkt, unbeweint. Der Zustand: hoffnungslos. Ungläubig starren wir auf die Szenerie vor uns, unbegreiflich, dass es keine Hilfe gibt. Das hier ist eine Welt der Starken, der Gesunden; sie hat kein Herz, nichts über für die Kranken, die Schwachen; Selektion, gnadenlos. Die Ressourcen zu beschränkt, selbst für jene, die mehr Glück haben als dieses sterbende Wesen hier, in ihrer Fülle zu wenig um halbwegs gut über die Runden zu kommen. Wir beschließen den Esel zu erlösen; würden wir es nicht tun, ihn hier noch länger derart leiden lassen, was wären unsere Ideale wert? Würden wir nicht unsere Überzeugung mit Füßen treten, würden wir einfach weiter gehen und nichts unternehmen? Natürlich, die Frage ist dann so einfach nicht zu beantworten, denn ist es nicht andererseits so, dass die Würde im Sterben gewahrt werden soll, gewahrt werden muss? Tut man dies, kommt man dem kosmischen Gesetz nach, indem man eine tödliche Injektion setzt? Greift man nicht in natürliche Prozesse ein, in einer Art und Weise, die ‚Mensch’ nicht zusteht? Aber andererseits: was von all dem was uns umgibt hat noch den Anspruch auf Natürlichkeit? Haben wir nicht, von einer so zerstörerischen Rastlosigkeit getrieben, bereits alles verändert, aus dem Lot gebracht? Sind wir, ist unsere ‚Menschlichkeit‘, nicht Schuld am Leiden dieses Esels, und ist es nicht unsere Pflicht, ihn nun daraus zu erlösen? Jede/r muss seine eigene Wahrheit finden, muss diese Gedankenspiele für sich selbst lösen; eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Innersten als unausweichliche Folge, geht es doch darum eine Tat zu setzen, welche keinen Notausgang bietet, kein Zurück; Konfrontation mit dem Gewissen, auf Biegen und Brechen, ein Nicht-wiedergutzumachender Schritt; jungfräuliche Seele, befleckt mit Blut, die eigene Unschuld des Daseins im Staub der Straße – entschiedet man sich gegen das Leid, gleichzeitig gegen das Leben, dann wird sie, die Unschuld nach der wir alle gieren, nach diesem Tag für immer verschwunden sein, und sie kommt nie mehr zurück. Ist der Entschluss der Sterbehilfe dann gefasst, wartet die nächste Frage: Wie ausführen? Nouakchott ist trotz der Überschreitung der Millionen-Einwohner-Grenze ein Dorf geblieben, von Nomaden für Nomaden gemacht, jeder scheint jeden zu kennen. Wir wissen nur zu gut über die Mentalität hierzulande Bescheid, über die Gefahr, auch nur einen kleinen Fehler zu machen und damit die Zukunft des Projektes zu gefährden; ‚die weißen Menschen, welche ausgezogen sind um zu retten, jedoch nur den Tod brachten‘, so werden sie uns nennen, beobachtet uns jemand bei dem schrecklichen, doch so nötigen Vorhaben. Also entscheiden wir den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten, die Schwärze der Nacht beginnt ohnehin längst Besitz von der Umgebung zu ergreifen; wir werden uns in unsere Tücher hüllen, im Schutze der Finsternis den Einheimischen gleichend, und dann werden wir blitzschnell den Pakt mit dem Tod eingehen; er wird als Erlöser kommen, keine Frage.
Zurück in der kleinen Herberge meint unsere rechte Hand vor Ort, Saleck, er würde lieber mit Dr. Facharani alleine zum Esel fahren, das würde viel weniger auffallen als unsere ganze Gruppe; er hat recht, und es fällt uns in diesem Falle nicht besonders schwer zurückzubleiben. Dann nahmen die Dinge ihren richtigen Lauf; angekommen am Ort der Tragödie bemerkte Saleck unweit entfernt einige Esel angebunden vor einem kleine Haus; er ging dorthin und fragte, ob der Besitzer der Tiere denn wüsste wem der sterbende Esel gehören würde; ‚Mir’, antwortete der Mann. Und er gab sein Einverständnis zum letzten Akt, beobachtete mit unserem Team die letzten Atemzüge seines Schützlings; seines Schützlings, welchen er so grausam im Stich gelassen hatte, nach getaner Arbeit zum Sterben buchstäblich in die Wüste schichte; Dr. Fachrani führte den kalten Stahl der Nadel in die Vene des Todgeweihten, und einen Augenaufschlag später begab sich eine glasklare Flüssigkeit auf ihren Weg durch die Blutbahn des Schmerzverzehrten. Im selben Augenblick kehrte Friede in den geplagten Körper, die Atmung wurde flacher, entspannter; die leeren Augen füllten sich noch einmal mit Leben, dann stoppte der Herzschlag – der Esel war tot. Die Sonne ging am nächsten Morgen auf über Nouakchott, so wie sie es seit Anbeginn der Zeit jeden Tag gemacht hat; langsam erwachte das Leben, füllten sich die Märkte und Wege; Hektik nahm Besitz von der noch kurz zuvor leeren Straße. Manchmal passiert Sterben ganz leise, begleitet nur vom Flüstern des Windes, kaum wahrnehmbar für die Umgebung.
Besonders eifrige RespekTiere-Newsletter-LeserInnen erinnern sich vielleicht noch an unser Schreiben vor einigen Monaten; damals, im Zuge der letzten Mauretanien-Reise, sind wir an einer Wasserstelle auf einen Hund getroffen, weiß wie Schnee, der sich unter den dort versammelten Eselkarren versteckt hatte; sein ganzer Körper zeugte von der Brutalität des Straßenhund-Daseins, war überzogen von den Spuren gewaltsamer Ereignisse; ein Auge völlig blutunterlaufen, das andere dürfte er in einem Kampf verloren haben; überall Schrammen, sein linkes Hinterbein schien verletzt, er humpelte mit der wandernden Sonne um die Wette von Schatten zu Schatten.
Nun lassen wir ihm Zeit sich zu beruhigen; eine volle Stunde später greifen geschickte Hände blitzschnell zu und ein scharfes Messer wird unter die Stricke geschoben – der Arme ist wieder frei, nicht aber ohne sich vorher noch selbst auf die Zunge zu beißen und so auch noch zu bluten… Dennoch, einige seiner Plagegeister werden ihn zumindest für einige Zeit in Ruhe lassen – und uns werden die unseren umso mehr plagen, endlich ein wirklich greifendes Projekt für die Hunde Mauretaniens auf die Beine zu stellen! Was uns hierfür erstmals sehr positiv stimmt, ist eine umwälzende Erkenntnis: Einige Männer an der Wasserstelle haben sich echt um den Armen gesorgt, und letztendlich konnten wir ihn nur durch die Mithilfe eines Eselhalters behandeln und die Stricke wieder lösen; es scheint als wäre das ‚Tabu Hund‘ in Auflösung begriffen, und mittlerweile gibt es doch viele Menschen in Nouakchott, welche sich vom ganzen Herzen um ihre Hunde kümmern! Jedenfalls: die direkte Hilfe des Eselhalters hat uns dermaßen überzeugt, dass wir ihm als Geschenk ein wunderschönes Radio sowie eine Sonnenbrille überreichten – als Zeichen dafür, dass Tierliebe immer ein lohnendes Unterfangen darstellt! Wir werden ihn beim nächsten Besuch hoffentlich erneut sehen, gesünder als am heutigen Tage – inshallah, so Gott will! Das Krokodil von Nouakchott, der letzte Überlebende aus dem unfassbaren Zoo von einst – wir haben vor Jahren darüber berichtet, wo die Einrichtung schon am Niedergang war, wo aber noch immer mehrere Vögel, Paviane, Äffchen, ein einsames Warzenschwein, ein sterbender Löwe, eine Hyäne unter schrecklichsten Bedingungen vegetierten; allesamt sind sie verstorben, bis auf das alte Krokodil, welches seit gut 40 Jahren ein Leben lebt, wo jedes Aufwachen eines in der immer wiederkehrenden Hölle ist, der Tod der bloßen Erlösung gleichkommt.
Wir verbrachten wieder viel Zeit am Eselmarkt; über diesen Ort gibt es nichts mehr zu sagen, wir haben schon alles darüber erzählt. Nur so viel: unsere Arbeit dort ist eine so immens wichtige und sie hat wieder Früchte getragen, die Esel in den Händlerumzäunungen sehen um vieles besser aus als nach der Pause von damals (Sie erinnern sich vielleicht, wir hatten uns kurzfristig vom Markt zurückgezogen, nachdem es in einer Atmosphäre des Kummers zu Streitigkeiten der Eselhändlern untereinander gekommen ist und unser Dr. Dieng daraufhin seinen Einsatz abbrach. Beim letzten Besuch hatten wir dann einen weiteren Arzt gesucht, und in der Person des Dr. Gueye gefunden. Seither ist RespekTiere wieder einmal die Woche, an jedem Samstag, am Eselmarkt vertreten, Dr. Gueye behandelt dann über einen Arbeitstag hinweg die Verletzungen der Tiere.
Wir wussten es immer, wir müssen wieder zurückkehren, ganz egal wie schmerzhaft die Umgebung ist. Genau hier brauchen uns die Tiere, und wir werden uns niemals vor dieser Verantwortung drücken. Auch beim Einsatz letzte Woche flammte ein Konflikt erneut auf; wieder gingen Männer aufeinander los, zu allem entschlossene Hände umklammerten Holzprügel, und nur das Herbei-Eilen beschwichtigender Personen konnte letztendlich einen offenen Ausbruch von Gewalt verhindern; worum es ging? Sylvia behandelte in einer der Buchten Eselhufe, der Besitzer wollte ihr so viel Platz als möglich verschaffen und verwies die vielen neugierigen Zuseher hinter die Begrenzung – allerdings, ein Mann wollte dem nicht Folge leisten, nur ganz knapp konnte eine Eskalation verhindert werden, die schwelender Spannung beruhigte sich überhaupt erst nach mehr als einer Stunde.
Wie wichtig der Einsatz der mobilen Klinik am Eselmarkt aber ist, lässt sich am besten anhand der Bilder erklären; immer wieder gibt es Esel, die an der Schwelle zwischen Leben und Tod wandern, ausgemustert, ausgetauscht, von der Arbeit gebrochen. Manche leiden unter schrecklichen Wunden, und ohne Behandlung würden sie wohl an diesen sterben. Die Umgebung des Marktes gleicht noch immer einem Schlachtfeld; die Gefallen eines Krieges, in dem sie niemals eine Chance hatten, niemals bestehen konnten, liegen dort wo die Gräuel des Alltages ihre Hoffnung zerstörten. Überall, soweit das Auge reicht, sieht man die kleinen Anhäufungen, auf die Entfernung wirklich sie wie sanfte Hügel im mit Abfall übersäten Wüstensand. Zwischen Autoreifen und Plastiksäcken hatten sie ihr Leben ausgehaucht, immer qualvoll, ohne jede Möglichkeit zu einer Rettung; in Kummer erstarrte Leichen, grotesk entstellt, von Würmern überhäuft, von den Elementen zerfressen, von einer gnadenlosen Sonne gegerbt; an vielen Stellen zeugen nur noch ein paar von den Hunden abgenagte Knochen von ihrer ehemaligen Existenz, an anderen wurden ihre Körper mit Benzin übergossen und angezündet.
Manchmal, wenn der Himmel schweigt, der Feuerball von Wolken verdeckt, dann pfeift der Wind sein eigenes Lied an der Stätte des Todes; nimmt man sich die Zeit und versucht zuzuhören, kann man seine Worte tatsächlich verstehen, wie er von Kummer und Leid erzählt, von all den Tragödien, die er im Laufe der Jahre bezeugen konnte; das Klagen des Windes formt sich dann zu einer Anklage, eine Anklage an die Mörder unserer Zeit, an die menschliche Unmenschlichkeit, an das so abgrundtief hässliche Gesicht der Tierquälerei. Man verharrt einen Augenblick, völlig in sich gekehrt, gefangen von der traurigen Melodie, welche sich einen Weg in das Herz bahnt – und noch tiefer gräbt, sich unentfernbar einnistet in die Schatten unserer Seelen und dort für immer eine Heimat findet. Ein Faktum sollte zum Abschluss nicht ungeschrieben bleiben, sollte uns zu überlegen geben – was hat unsere ‚Nutz‘tierhaltung mit den Eseln Mauretaniens zu tun? Die Antwort ist für viele eine schmerzvolle, eine, der man am liebsten ausweichen möchte; doch sie holt uns ein, immer wieder. Ja, der Tod eines Huhnes, eines Schweines, einer Kuh, in unseren Schlachthöfen ist mit derselben Tragik verbunden, wie das Ableben eines Arbeitsesels unter der gleisenden Sonne Afrikas; denn eines ist allen Wesen gemein: wir möchten leben, nichts als Leben, und halten uns bis zum letzten Atemzug am irdischen Dasein fest…. Achtung, Achtung: heute Abend, Punkt 18 Uhr, geht das Radio RespekTiere wieder on-air! Thema der heutigen Sendung ist natürlich der Mauretanien-Einsatz, zu empfangen über die Radiofabrik auf 97,5 oder 107,7, oder nachzuhören im Netz unter cba.fro.at! Eine Wiederholung der Sendung auf der Welle der Radiofabrik gibt es am kommenden Samstag, um 9 Uhr vormittags!
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